Im Buchhandel findet man kaum noch Bücher über Astrologie. Ist das Thema überhaupt noch aktuell, Herr Neuman?
Mehr denn je. Immer noch interessiert sich ein Millionenpublikum aus allen Schichten für Astrologie. Selbst Prominente haben inzwischen keine Scheu mehr, in Talk-Shows und Interviews über ihr Tierkreiszeichen zu räsonieren. Die berechtigte öffentliche Warnung von 186 Wissenschaftlern, darunter 18 Nobelpreisträgern, vor einer illusionären Astrologie zeigt, wie umstritten das Thema war und ist.
Aber warum werden keine Astrologie-Bücher mehr verlegt?
Ich vermute, dass Verlage ihr seriöses Image vor der stark ideologisierten Esoterik-Industrie schützen wollen. Außerdem haben sie erkannt, dass es überhaupt keinen Neuigkeitswert mehr gibt. Inzwischen hat jeder von jedem abgeschrieben.
Offensichtlich wollen Sie mit Ihrem Buch diesen Tendenzen entgegenwirken.
Mehr noch. Ich will sie bekämpfen. Ich attackiere den Esoterik-Kommerz, weil er eine Überlegenheit des „Edlen und Wahren“ beansprucht. Und ich kritisiere, dass Astrologie mit Sternen und Kosmos in Verbindung gebracht wird. Der exorbitante Unterschied von Weltraum und Weltall wird ignoriert. Vor allem aber kämpfe ich gegen den Jahrmarkt der Beliebigkeiten, der alle Diskussionen über Astrologie beherrscht.
Können Sie typische Beispiele nennen?
Sehr viele. Als Beispiel zitiere ich auch einen langjährigen Vorsitzenden des Deutschen Astrologen Verbandes. In seinem Buch „Astrologie“ sind alle Tierkreiszuschreibungen beliebig, weil sie ohne jede schlüssige Ableitungssystematik einfach nur behauptet werden.
Sie hingegen behaupten, dass AstroLogie rational und logisch sein kann?
Ja. Das ist die unabdingbare Voraussetzung, um sich ernsthaft mit der Astrologie auseinanderzusetzen. Ohne eine schlüssige Denkordnung mit eindeutigen Prinzipien, die nachvollziehbar und überprüfbar sind, kommt die Astrologie nicht über den Status eines Vabanquespiels hinaus.
Glauben Sie eigentlich selbst an astrologische Voraussagen?
Astrologische Voraussagen sind nur sehr eingeschränkt möglich, weil jede Konstellation viele Entsprechungen haben kann. Außerdem sind sie aus meiner Sicht auch problematisch, weil man sich sonst zu stark auf Erwartungen fixieren könnte. Außerdem gilt mein Interesse einem Falsifizieren, nicht einem Glauben.
Warum sollte man sich mit Astrologie beschäftigen?
Man kann sich selbst durch die Deutung seines Geburtshoroskopes besser kennenlernen. Als Orientierungshilfe zur Selbstermächtigung. Wichtig dabei: Es geht immer nur um wesensgemäße Eigenarten und nicht um konkrete Eigenschaften. Beispielsweise ist die Eigenart, impulsiv zu sein, dem Widder-Prinzip entsprechend ein allgemeiner Wesenszug, der in unterschiedlichen Bezügen als konkrete Eigenschaft ausgelebt wird. Das heißt, es geht zunächst nur um astrologische Prinzipien, die als konkrete Eigenschaften sehr viele mehrdeutige Sinnbilder und Entsprechungen zulassen.
Sie behaupten, die Geburtszeit von Frau Merkel astrologisch bestimmen zu können.
Ja, ich gehe dabei von Gesetzmäßigkeiten aus, die ich streng logisch-rational, völlig neutral und unvoreingenommen anwende. Am Merkel-Horoskop demonstriere ich vor allem beispielhaft mein Postulat, dass astrologische Deutungen nur dann ernst genommen werden können, wenn sie von eindeutig definierten Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten ableitbar und damit schlüssig überprüfbar sind.
Das bringt mich auf die Frage, welche Rolle die Astrologie im gesellschaftlichen Kontext spielt bzw. spielen sollte?
Natürlich ist astrologisches Denken in Sinnbildern und Analogien nicht sehr verbreitet. Aber es bietet die Chance, die Fähigkeit zu trainieren, unsere immer komplexer werdende Welt besser zu durchschauen, indem man sie mit Hilfe der astrologischen Bildsprache betrachtet. Die verrät oft das Wesentliche eines ansonsten undurchschaubaren Geschehens. Logisch denken im Sinne von ana-logisch.
Kann Astro-Logie rational und logisch sein? Gibt es eine in sich schlüssige astrologische Denkordnung, mit der Horoskope nachvollziehbar und überprüfbar gedeutet werden können? Was können wir von einem astrologischen Denksystem für unser Alltagsleben lernen?
Der Beantwortung dieser Fragen widmet sich dieses Buch. Es erklärt, warum die Astrologie von Leichtgläubigen zu sehr überschätzt wird. Und es begründet, warum Skeptiker häufig dazu neigen, die Astrologie zu unterschätzen. Ausdrücklich distanziert es sich von einer Astrologie-Industrie, die sich an den Mechanismen der Konsumgüter-Industrie orientiert und die Deutung von Horoskopen kommerzialisiert hat. Besonders in Zeiten, in denen man eine Flucht aus der undurchsichtig gewordenen, komplexen Alltagswelt in eine ebenso undurchsichtige, metaphysische Welt beobachten kann, ist es wichtig, dass Erläuterungen zu Horoskopen nachvollziehbar und überprüfbar sind.
Meine persönliche Grundeinstellung gegenüber der Astrologie: Ich kenne kein einziges Argument, um an Astrologie zu glauben. Denn die Vermutung, dass von Sonne, Mond und Planeten eine Wirkung auf das Verhalten von Menschen ausgehen könnte, ist so unwahrscheinlich, dass es mir nicht sinnvoll erscheint, daran zu glauben. Hingegen kenne ich viele Gründe, von der Astrologie fasziniert zu sein. Denn die Denkordnung, auf der die Astrologie aufbaut, ist tatsächlich einzigartig und überaus attraktiv in ihrer Schlüssigkeit. Am besten kann man sich ihr nähern, indem man versucht, sie zu falsifizieren.
Das größte Problem bei der allgemeinen Bewertung der Astrologie scheint mir allerdings zu sein, dass ablehnende wie zustimmende Sichtweisen im Unterbewussten verankert sind. Deshalb behandle ich in den ersten beiden Kapiteln des Buches zunächst die populärsten Vorurteile gegenüber der Astrologie. Das macht den Weg frei für eine nüchterne Beurteilung.
Bekanntlich können irrationale Vorurteile gegenüber der Astrologie selbst durch konkrete Fakten nur selten widerlegt werden. Denn Logik ist nichts anderes als die eigene Konstruktion von Logik. Jeder konstruiert sich seine eigene Logik. Es sei denn, es wird ein eindeutiges System von Kriterien und Gesetzmäßigkeiten vorgegeben, so dass logische Schlussfolgerungen jederzeit überprüfbar sind. Genau um diese Gesetzmäßigkeiten geht es in diesem Buch.
(Auszug)
In der Literatur zur Astrologie dominieren spekulative Beliebigkeiten. Im Internet können sich die Leser über die wuchernde Fülle von fantasievollen Deutungen informieren. Ich konzentriere mich exemplarisch auf Beispiel-Texte, die im Reclam-Heft „Astrologie – Eine Einführung" vom langjährigen Vorsitzenden des Deutschen Astrologen-Verbandes, dem Psychotherapeuten Dr. Peter Niehenke, zitiert werden. Ich beziehe mich dabei konkret auf seine Ausführungen auf den Seiten 162 ff. Wenn man diese Zuschreibungen mit den in diesem Buch auf Seite 18/19 von Döbereiner definierten Prinzipien vergleicht, wird deutlich, welche fundamentale Rolle meine Forderung nach Schlüssigkeit bei der Deutung von Horoskopen spielt.
(Auszug)
In seinem Lehr- und Übungsbuch Band 1 hat Döbereiner die vier Quadranten in verschiedenen Versionen sehr anschaulich dargestellt. Es lohnt sich, dort nachzulesen, was hier komprimiert beschrieben wird. So bezieht sich Döbereiner zum Beispiel auf die vier aristotelischen Kausalitäten als die vier Gründe des Seins. Erster und zweiter Quadrant sind als causa materialis und als causa formalis phänotypisch, haben also einen konkreten, realen Bezug zur Erscheinung. Der erste Quadrant mit Widder, Stier und Zwilling kennzeichnet den stofflichen Urgrund, also alles was räumlich erfassbar und sichtbar ist. Der zweite Quadrant mit Krebs, Löwe, Jungfrau kennzeichnet den formgebenden Urgrund, also alles was seelisch begründbar ist und sichtbar gemacht wird.
Dritter und vierter Quadrant sind als causa efficiens und als causa finalis genotypisch, beziehen sich also auf die Außenwelt. Dabei kennzeichnet der dritte Quadrant mit Waage, Skorpion, Schütze den bewirkenden Urgrund, also alles was sich aus Begegnungen ableitet und zu Vorstellungen führt und sich damit an die Sichtbarkeit des ersten und zweiten Quadranten bindet. Der vierte Quadrant mit Steinbock, Wassermann, Fische kennzeichnet den bestimmenden Urgrund, also alles was als Erwirktes einer Entwicklung ein unbeeinflussbares Eigenleben erlangt hat oder – umgekehrt – als unbewusst Wirkendes die Quelle der Wirklichkeit repräsentiert.